(Stand 15-03-2023 – aktualisierte Fassung unseres Beitrages vom 19-02-2023)
The Guardian berichtet in einem online Beitrag vom 18-02-2023 von Massnahmen des Verlages Puffin, einem zur Verlagsgruppe Penguin Random zählenden Unternehmen, das wiederum zu Bertelsmann gehört die Werke des Schriftstellers Roald Dahl künftig in überarbeiteter Form zu vertreiben. Aus seiner Hand stammen viele beliebte Titel, darunter auch Kinderbücher wie Charlie und die Schokoladenfabrik. Hunderte von Passagen sind betroffen so wird berichtet, vornehmlich geht es um gender neutrale Ausdrücke und den Austausch möglicherweise herabsetzender Worte wie fett oder häßlich. Zudem wurden mehrere von dritter Hand gefertigte Passagen eingefügt.
Im Impressum gibt der Herausgeber hierzu an: “The wonderful words of Roald Dahl can transport you to different worlds and introduce you to the most marvellous characters. This book was written many years ago, and so we regularly review the language to ensure that it can continue to be enjoyed by all today.”
Puffin hat sich der Hilfe von Inclusive Minds bedient, das sein Abgebot auf der webseite so beschreibt:
Inclusive Minds offer a range of services to help people engaged in all aspects of children’s literature build a new, more inclusive world. We are proud to have a wide range of services and expertise allowing us to provide for everyone, from authors and illustrators, to publishing professionals, editors, and even librarians and teachers.
Unklar bleibt, wer hinter diesem Unternehmen steckt – dazu heißt es:
Founded in January 2013, Inclusive Minds is a collective for people who are passionate about inclusion, diversity, equality and accessibility in children’s literature, and are committed to changing the face of children’s books.
Auch die bei Bertelsmann – Penguin Random House Deutschland in deutscher Sprache verlegten Werke von Roald Dahl sind komplett neu übersetzt von Andreas Steinhöfel und Sabine Ludwig, nach eigener Darstellung ohne Vorgaben. Allerdings: Die englischen Neuausgaben hält Ludwig für “Mogelpackungen – Roald Dahl steht drauf, ist aber nicht mehr drin”. Ist das nicht gerade ein Beleg für ein mögliches Misstrauen?
Auch in Deutschland sind ‘Glättungen’, ‘Überarbeitungen’, ‘Bereinigungen’, ‘Neufassungen’ zunehmend häufiger an der Tagesordnung. Siehe hier etwa mit Hinweis auf eine kulturelle Aneigung die Karl May Auslistung bei Ravensburger, die Anpassungen beim Werk von Enid Blyton und einige andere mehr. Gerade auf dem Index gelandet sind Episoden mit Onkel Dagobert von Don Rosa für Walt Disney.
Das Thema wird kontrovers diskutiert. Wie weit kann oder muss sogar eine Veränderung von Werken gehen, die unter früheren, in der Regel anderen gesellschaftlichen Anschauungen entstanden sind? Welchen Einfluß haben ‘sensitivity reader’ auf Bücher und gibt es dunkle Mächte, die diese wiederum steuern – eine Art TÜV für Schriftsteller und ihr Werk? Wann wird ‘Änderung’ zur Zensur? Wird zukünftig KI – Künstliche Intelligenz kontinuierlich die Verlagsprogramme überprüfen?
Wir haben einige Stimmen zur eigenen Meinungsbildung zusammengestellt:
Kinder im „Bullerbü“? – zur Debatte um „Glättungen“ in Kinderbüchern von Roald Dahl : Sendung im Deutschlandfunk vom 22-02-2023
Andreas Steinhöfel: “Ich fürchtete um die schönen Schimpfwörter” Beitrag vom 23-02-2023 im Börsenblatt – Das Fachmagazin der Buchbranche
Rainer Moritz im Gespräch Wenn Literatur zeitgemäß angepasst wird im Deutschlandfunk Kultur vom 22.02.2023
Kommentar von Philipp Hübl im Deutschlandfunk Kultur vom 26.02.2023 unter dem Titel Stereotype werden überschätzt (dort als audio Fassung mit Text).
Streit um Streichungen in Roald Dahls Kinderbücher Beitrag von Dr. Nils Lehnert vom 27-02-2023 auf Kinderundjugendmedien.de. Der Beitrag war zuvor bereits unter der Überschrift Neuausgabe von Roald Dahls Kinderbüchern: nötige Aktualisierung oder woke ‘Zensur’? erschienen.
Zensur? Sensitivity-Reading spaltet die Buchbranche : Beitrag von Sandra Limoncini vom 06-02-2023 auf BR24
Nachtrag 15-03-2023
Andrea Immel, die Kuratorin der Cotsen Children’s Library an der Princeteon University hat am 25-02-2023 einen lesenswerten Blog-Beitrag unter dem Titel Roald Dahl and His Posthumous Editors: Send in the Crocodile… (in englischer Sprache) verfasst.
Auszugsweise seien zwei Stellen in Übersetzung zitiert:
Roald Dahl sagte 1982 zu dem Maler Francis Bacon, dass er nicht möchte, dass seine Bücher posthum herausgegeben werden. “Ich habe meine Verleger gewarnt: Wenn sie später auch nur ein einziges Komma in einem meiner Bücher ändern, werden sie nie wieder ein Wort von mir lesen. Niemals! Niemals!”, verkündete er. “Wenn ich einmal nicht mehr bin, werde ich das ‘Riesenkrokodil’ vorbeischicken, um sie zu verschlingen.” Er hatte nicht die Absicht, die Kontrolle über seine Texte an jemand anderen abzugeben: Er würde selbst entscheiden, ob eine Überarbeitung notwendig war, und diese Aufgabe selbst übernehmen.
…
Ein Kinderbuchklassiker lebt nicht ewig, sondern hat entgegen der landläufigen Meinung eine gewisse Lebensdauer. Wenn er kein Publikum mehr findet, wird er nicht mehr gedruckt. Wie Philip Pullman vorschlug, sollte man Dahls Büchern ihren Lauf lassen und die Kinder in der Zwischenzeit ermutigen, sich mit den Werken anderer, besserer Autoren zu beschäftigen, die nicht so bekannt sind. Es mag keine perfekte Lösung für dieses Rätsel geben, aber meiner Meinung nach ist das Zuhause ein besserer Ort, um Bücher zu verbieten oder zu zensieren, als die Büros der Verlage.
(c) Andrea Immel / Princeton University 2023