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Nach dem Studium der Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte in Marburg und der Promotion zum Thema Die Kurzgeschichte in Deutschland im Jahr 1952 absolvierte Klaus Doderer ein pädagogisches, sprach- und literaturdidaktisches Zweitstudium am Pädagogischen Institut Darmstadt. Dort nahm er später auch eine Dozentur wahr, wobei sein Interesse für die Kinder-und Jugendliteratur geweckt wurde, begünstigt durch die dort schon bestehende Arbeitsstelle für Jugendliteratur. Im Jahr 1963 trat er eine Professur an der Hochschule für Erziehung an, die zunächst der Universität Frankfurt angegliedert später in ihr aufging. Zugleich wurde Klaus Doderer als Gründungsdirektor des Instituts für Jugendbuchforschung bestellt, das er dann bis 1990 leitete.
Dass sich die Gründung dieses Instituts später als grosser Wurf erweisen sollte war zunächst kaum erwartbar. Es bestand eine verzwickte, vom Gerangel um die Ziele und von den Eigenheiten des Wissenschaftsbetriebes geprägte Situation, so beschreibt es Klaus Doderer in seinen autobiographischen Reflexionen*. Die Beteiligten hegten unterschiedliche Erwartungen an die künftige Arbeit des Instituts, etwa als Hort des Kampfes gegen minderwertiges und jugendgefährdendes Schrifttum, als Bewertungs- und Prüfungsstelle für Jugendschriften oder auch als Bastion zur Verteidigung des Buchs und des Lesens gegenüber neuen Medien wie Tonkassetten, Filme und das Fernsehen.
Klaus Doderer sah hierin keine Vorgaben, er erkannte die Chancen, die sich durch die Einheit von Lehre, Forschung und Sammlung boten. In der Folge wurden das Lehrangebot ausgeweitet und die Forschung breit aufgestellt. Der auf sein Betreiben hin massive Ausbau der bibliothekarischen Kapazitäten an Primär- und Sekundärliteratur – aufbauend auf den bereits vorhandenen Beständen der Arbeitstelle für Jugendliteratur – erlaubte erstmals ein gesichertes quellengestütztes Arbeiten. Auf seine Initaitive hin fanden wissenschaftliche Tagungen statt, so das Frankfurter Kollquium von 1969, an dem auch Horst Kunze, der Protagonist der Kinder- und Jugendliteratur in der Deutschen Demokratischen Republik teilnahm, in Zeiten des Kalten Krieges keine Selbstverständlichkeit. Viele Projekte gehen auf seinen Anstoß und sein Betreiben zurück, darunter als wohl wichtigstes das Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur, dessen vier Bände von mehr als 250 Fachkundigen aus 33 Ländern erarbeitet 1975 – 1982 erschienen und deren Beiträge für die Grundlagenarbeit unerläßlich sind. Dies betrifft auch sein eigenes umfängliches Werk, das hohe Aktualität aufweist.
Im bestverstandenen Sinne war Klaus Doderer ein neugieriger und umtriebiger Mensch. Sein Metier war es zu sichten und zu beschreiben, zu vermitteln und zu motivieren, Verbindungen zu schaffen und Aktivitäten zu bündeln. Auf seine Initiative hin erfolgte 1970 die Gründung der International Research Society for Children’s Literature (IRSCL) in Frankfurt a. M., deren erster Präsident er wurde. Im Zusammenwirken mit seiner Gattin Ingrid gelang es, die in den 1930er Jahren nach England gelangte Kinderbuchsammlung Walter Benjamin zu erwerben und ihren Bestand zu sichern. Zuvor waren schon 1966 die Kinderbuchsammlung Arthur Rümann (ca. 800 Bände), 1979 die Comic Sammlung Peter Orban (ca. 4000 Einheiten) und 1983 die Kinderbuchsammlung Karl Hobrecker (ca. 400 Bände) eingegliedert worden.
Bei seinem Ruhestand im Jahr 1990 besaß das Institut für Jugendbuchforschung höchste Reputation, auch international war es als Einrichtung mit Vorbildcharacter anerkannt. In der Folge verblasste der Glanz, seinen Nachfolgern war es trotz einiger beachtlicher Leistungen nicht gegeben, die Doderer’sche Wirkkraft in der Breite aufrecht zu erhalten. Es gelang nicht, das Bewährte fortzuführen und dazu neue Impulse zu setzen, etwa sich den Veränderungen in der jugendliterarischen Landschaft anzupassen, die massiv vordringenden Umschichtungen der Medien zu analysieren und insbesondere die Bedeutung der Jugendliteratur als eigenständigem Kulturgut weiter herauszuarbeiten. Das Institut zehrt heute vom Schein des Glanzes, den Klaus Doderer einst begründet hatte.
Zusammen mit Horst Kunze, Theodor Brüggemann und Walter Scherf, dem langjährigen Leiter der Internationalen Jugendbibliothek in München – mit dem ihn zuweilen ein gewisse Rivalität verband – gehört Klaus Doderer zu den Personen der Nachkriegszeit, die die lange Zeit unbeachtete, ja abschätzig bewertete Kinder- und Jugendliteratur hoffähig gemacht und ihr zu einem heute unbestrittenen Rang als Gegenstand der Forschung verholfen haben. Sie haben den Boden bereitet für die Forscher – darunter auch viele, die bei Klaus Doderer in die ‘Lehre’ gingen -, die heute in ihrer Nachfolge stehen. Klaus Doderer hat maßgeblich dazu beigetragen, das Fundament zu schaffen, auf dem die heute auf vielen Schultern ruhende Forschung in ihrem Selbstverständnis gründet.
In seinen autobiographischen Reflexionen findet sich am Schluß ein Text, der die Bestimmung seines Autors einem Nachruf ähnlich beschreibt:
DAS SCHICKSAL DER ENTDECKUNGEN
Ein Alter — achtzig oder mehr — saß am Weg. Manches war ihm gelungen, manches nicht. Er war immer noch am Suchen. Junge Leute kamen vorbei, zielstrebig, kritisch, selbstbewusst. Sie fragten den Alten nach dem Weg auf den Berg. Er kannte mehrere Routen, wies ihnen seine beste. Die jungen Leute gingen ein Stück. Dann waren die Zeichen verwischt. Die Wanderer kamen dennoch voran, entdeckten Neues, darunter auch die Vergeblichkeit manchen Bemühens. Und ebenso das Verwittern von Erkenntnissen.
* Klaus Doderer. Die Entdeckung der Kinder- und Jugendliteraturforschung. Autobiographische Refelexionen. Weinheim, Basel 2005
Prof. Dr. Winfred Kaminski hat in der JuLit 2/2023 (Seiten 56- 58) einen Nachruf verfasst. Er arbeitete in den 1970er und 1980er Jahren als wisenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Jugendbuchforschung in Frankfurt.
Siehe auch den webbeitrag der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur zu Klaus Doderer
© sammlung druckwerk 20-06-2023